Showdown im Fier Zoo

Ioana Dungler reflektiert über eine unserer bisher dramatischsten Rettungsmissionen und wie wir es geschafft haben, die Tiere aus  "Europas schlimmstem Zoo" in Albanien zu retten.

27.11.2018

Das Team, bestehend aus VIER PFOTEN, albanischen Behörden und der örtlichen Polizei, blickt auf das fragil aussehende Vorhängeschloß. Es ist kaum zu glauben, dass dieses winzige Hindernis – nach all dem, was wir durchgemacht haben – das Ende einer langen Reise darstellen soll. Nach jahrelangen Ermittlungen und dem Druck auf die albanische Regierung sollte dies der Tag der Rettung für viele Tiere sein.

Geschlossene Tore

Polizisten mit Kalaschnikows, Journalisten internationaler Medienstationen und zufällig anwesende Passanten haben sich als Publikum unserer Mission versammelt. Ein älterer Mann brüllt einem der Beamten etwas auf Albanisch zu, es ist unklar, ob er auf unserer Seite ist oder nicht. Unsere Anweisungen lauten darauf zu warten, dass der Besitzer des Zoos die Tore offiziell öffnet, um uns hereinzulassen. Mit jeder Minute, die vergeht, wirkt das rostige Vorhängeschloss größer und stabiler. Endlich, nach stundenlangem Warten, durchtrennt ein Polizist mit einem kurzen Schnappen seiner Zange das Tor auf.

Was folgt, ist pures Chaos, als sich alle auf einmal versuchen in den Zoo drängen. Die Behörden bemühen sich, die Situation unter Kontrolle zu halten. Schließlich schaffen es unser Tierarzt Marc Gölkel und sein Team, eine medizinische Station in der Mitte des Areals zu errichten. Angetrieben von dieser positiven Wende versuchen wir, die Tiere so schnell wie möglich für den Transport vorzubereiten. Inmitten unserer Arbeit hören wir plötzlich ein lautes Schreien und Fluchen aus dem Eingangsbereich.

Konfrontation

Der wütende Zoo-Besitzer und seine Gefolgschaft sind eingetroffen. Er beleidigt uns auf Albanisch, schreit herum und schubst einen Journalisten so fest, dass seine Kamera beinahe zu Boden fällt. Keiner der Polizisten ist in diesem Moment zu unserem Schutz anwesend, da sie damit beschäftigt sind, den Eingang unter Kontrolle zu halten. Kurz bevor die Situation eskaliert, kommen endlich einige Beamte, um uns zu helfen und den aufgebrachten Besitzer in Schach zu halten. Immer wieder jedoch kam der Zoo-Eigentümer zurück und beleidigte uns schreiend – und jedes Mal hatte er mehr Männer bei sich, bis wir am Ende des Tages vor einer ganzen Armee seiner wütenden Familienmitglieder standen.

Unerwartete Gefährten

Die Zeit vergeht schnell, während wir ein Tier nach dem anderen aus ihren Gehegen holen. Den ganzen Tag werden wir von einem kleinen Hund begleitet, der so ausgemergelt ist, dass er es geschafft hat, sich durch seine Käfigstangen zu drücken. Er verlässt kaum unsere Seite und hält sogar kleine Schläfchen neben unseren Teammitgliedern. Als der Besitzer bemerkt, dass selbst seine eigenen Hunde nichts anderes wollen als ihm zu entkommen, verliert er die Nerven. Er stürzt zu dem Hund, packt ihn brutal am Hals und wirft ihn in ein verlassenes Betonrohr. Dies bricht uns das Herz, doch haben wir keine rechtliche Befugniss, den Hund mitzunehmen. Wir wefen uns vielsagende Blicke zu wie um zu sagen, dass die Angelegenheit noch nicht vorbei ist, aber vorerst konzentrieren wir uns darauf, die Arbeit mit den anderen Tieren zu erledigen.

Wir durchforsten den ganzen Zoo, können aber weder die Schildkröte noch die Elenantilope finden, die wir ebenfalls retten wollten. Als wir einen weiteren Löwenkäfig öffnen, machen wir eine schreckliche Entdeckung: Auf dem Boden neben den Löwen sind Fleischstücke verstreut, die nur von einem Tier stammen können - der Antilope. Um die beiden Löwen Bobby und Zhaku zu retten, müssen wir sie mit Wasser besprühen und sogar Stöcke verwenden, um sie von den Podesten, auf denen sie sitzen, herunter zu bekommen. Nach der jahrelangen brutalen Behandlung im Zoo reagieren sie jedoch nicht auf unsere Bemühungen. In einer gefährlichen Operation müssen wir sie deshalb vier Meter über dem Boden sedimentieren, um sie anschließend an den rostigen Eisenstangen vorbeizuziehen, die aus ihren schäbigen Käfigen ragen. Da es schon Abend ist, stellt das Fehlen von Sonnenlicht eine zusätzliche Herausforderung dar – aber es sollte noch schwieriger werden.

Lichter aus

Plötzlich gehen die Lichter aus. Damit ist die Situation endgültig von ernst zu gefährlich geworden. Die Einheimischen hatten uns gewarnt, dass wir,sobald die Sonne untergeht, den Zoo unbedingt verlassen sollten, egal was passiert. Anscheinend hatte der Eigentümer  die Generatoren abgeschaltet, weshalb  wir ab sofort noch mehr aufpassen müssen, dass wir uns nicht auf zerbrochenen Fliesen, Trümmerhaufen oder anderen achtlos herumliegenden Gegenständen verletzen. Wir versuchen alle Gedanken auszublenden, was passieren könnte, wenn wir in der Dunkelheit auf einen Mann des Besitzers stoßen.

Endlich sind wir fertig und jedes Tier hat es in einen unserer Lastwagen geschafft - bis auf einen: Der kleine Hund kauert immer noch in seinem Beton-Gefängnis und erwartet wohl ein düsteres Schicksal. Während der Besitzer und seine Truppen abgelenkt sind, heben wir das Betonrohr hoch und stecken den Hund in eine Box, die wir schnell hinter einigen der anderen Käfige verstecken. Alles schien gut zu laufen – bis der arme Kerl anfing zu wimmern. Einer der Männer des Besitzers erkennt, was los ist: Er klopft fest gegen die LKW-Tür und der Hund beginnt zu bellen. Was dann passiert, wird keiner von uns jemals in seinem Leben vergessen: Erfüllt mit Hass nimmt der Zoo-Eigentümer die kleine Box mit dem darin eingeschlossenen Hund und schmettert sie auf den Boden.

Es war eine der dramatischsten Missionen, an denen ich je teilgenommen habe. Ich werde niemals den Moment vergessen, an dem das Zebra nach all unseren Bemühungen verstorben ist. Ich bin jedoch sehr stolz darauf, wie mutig unser gesamtes Team während dieser gefährlichen Rettung war. All die Tiere zu sehen, die wir retten konnten, ist die beste Belohnung.

Ioana Dungler,  Direktorin der Abteilung für Wildtiere bei VIER PFOTEN

Trauriges Ende

Schockiert von diesem Vorfall und der Tatsache, dass wir keine rechtliche Befugnis haben, den Hund mitzunehmen, müssen wir unsere Rückfahrt in den Tirana Zoo beginnen. Und dieser lange Tag hält leider ein weiteres tragisches Kapitel für uns bereit: Bei der Ankunft bricht das Zebra zusammen. Wir kämpfen mit allem, was wir haben, um sein Leben, aber er schafft es nicht.

Es war einer der längsten und schrecklichsten Tage meines Lebens. Ich bin froh und stolz, dass es uns gelungen ist, so viele Tiere zu retten, aber ich werde auch nie vergessen, was mit einigen der Tiere passiert ist, die wir nicht retten konnten.

Ioana Dungler

Direktorin der Abteilung für Wildtiere bei VIER PFOTEN

Nach ihrer Ausbildung zur Architektin war Ioana Dungler im Jahr 2000 auf dem Weg zu einer vielversprechenden Karriere als Innenarchitektin, als sie sich entschied, eine ganz andere Herausforderung anzunehmen: die Rolle einer temporären Pressesprecherin für das neu eröffnete VIER PFOTEN Büro in Rumänien. Was als vorübergehender Job began, ist zu einer Lebensaufgabe im Tierschutz geworden. Ihr starker Charakter, zusammen mit ihrer Leidenschaft für die Tierhilfe, veranlasste Dungler zum Umzug nach Österreich zum Hauptsitz von VIER PFOTEN. Hier ist sie jetzt als internationale Direktorin der Abteilung für Wildtiere tätig – eine Schlüsselposition für die Organisation. Sie betreut wichtige internationale Projekte, darunter die Großkatzen- und Bärenschutzzentren von  VIER PFOTEN sowie das Pferdeprojekt und die ORANG-UTAN WALDSCHULE.

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