Kuh auf der Wiese tränkt ihr Kalb

Mutter- und Ammengebundene Kälberaufzucht

Kälber dürfen bei ihren Müttern oder Ammen aufwachsen

22.3.2022

Nur eine Kuh, die kalbt, gibt Milch 

In Österreich leben rund 526.000 Milchkühe¹. Milchkühe geben aber nicht "einfach so" Milch. Die Milch ist eigentlich zur Ernährung ihres Kalbes gedacht – es ist Muttermilch. Nur wenn die Kuh ein Kalb zur Welt gebracht hat, produziert sie auch Milch. Somit gebären Milchkühe jedes Jahr ein Kalb. Weil wir Menschen jedoch die gesamte Milch nutzen wollen, werden Kuh und Kalb meistens kurz nach der Geburt voneinander getrennt und die Kälber verbringen ihre ersten Wochen alleine in sogenannten Kälberiglus. Kontakt zu Artgenossen gibt es oftmals nur durch Gitterstäbe und sie erhalten die Milch oder oft gar nur den Milchersatz aus Nuckeleimern oder Tränkeautomaten. Darunter leiden sowohl die Kälber als auch ihre Mütter sehr, denn Kühe möchten ihre Kälber umsorgen und die Kälber brauchen ihre Mütter, da sie gänzlich ohne eigenes Immunsystem geboren werden.

Die natürliche Beziehung ausleben

Es gibt eine Alternative: die mutter- oder ammengebundene Kälberaufzucht. Dabei wird den Kälbern ermöglicht, mehrere Monate bei ihrer Mutter oder einer Amme zu bleiben und am Euter zu trinken. Diese Kuh-Kalb-Kontaktsysteme haben viele Vorteile. Kuh und Kalb können so ihre natürliche Beziehung ausleben und durch die Aufnahme von Muttermilch erhält das Kalb wichtige, auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Nährstoffe, um sich gesund zu entwickeln. Außerdem ermöglichen sie den Tieren soziale Verhaltensweisen auszuüben. Zum Beispiel lernt das Kalb lernt die Regeln der Herde und den Umgang mit erwachsenen Tieren von seiner Mutter. 

Mutterkuh mit Kalb

Milchkälber, die von einer Mutter aufgezogen werden, entwickeln sich oft besser und nehmen mehr Gewicht zu als Kälber, die konventionell aufgezogen werden. Darüber hinaus kann die kuhgebundene Kälberaufzucht zu einer Verringerung stereotyper Verhaltensweisen führen, insbesondere das gegenseitige Besaugen. Dabei handelt es sich um ein abnormales Verhalten, bei dem Kälber unterschiedliche Körperstellen von anderen Kälbern (z.B. den Nabel) besaugen. Dieses Verhalten tritt deshalb auf, weil das natürliche Saugbedürfnis in der konventionellen Haltung nicht ausgelebt werden kann. Gesundheitliche Probleme, wie z.B. Entzündungen der gesäugten Körperteile der Stallgenossen sind die Folge. 

Herausforderungen des Systems

Auf der anderen Seite gibt es immer noch einige Herausforderungen von Kuh-Kalb-Kontaktsystemen. Wegen der starken Bindung zwischen Kuh und Kalb, ist der Prozess des Absetzens nach ein paar Wochen oder Monaten für beide sehr belastend. In den meisten Betrieben, die die Kälber bei den Kühen belassen, erfolgt das Absetzen und Trennen früher als dies unter natürlichen Bedingungen passiert - meist im Alter ab drei Monaten. In der Natur ergibt sich das Absetzen nach und nach, wenn das Kalb mehr als acht Monate alt ist. Hinzu kommt, dass die Trennung in landwirtschaftlichen Betrieben nicht nur früher als in der Natur erfolgt, sondern oft auch abrupt, was für die Tiere zusätzlich Stress bedeutet. 

Aus Tierschutzsicht ist eine kuhgebundene Kälberaufzucht eine bedeutende Verbesserung des Tierwohls für Kuh und Kalb.

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Absetz- und Trennungsmethoden in Kuh-Kalb-Kontaktsystemen

  • Nasenklappen
    Betriebe, die bereits ein Kuh-Kalb-Kontaktsystem praktizieren, verwenden beim Absetzen häufig Nasenklappen, die das Kalb daran hindert, am Euter zu saugen. Dies hat den Vorteil, dass das Kalb in der Herde bleibt und den Kontakt zu seiner Mutter halten kann. So kann sich das Kalb an den Milchverlust und die damit einhergehende Umstellung der Ernährung gewöhnen, bevor es die Trennung von seiner Mutter verkraften muss. Der Nachteil ist der abrupte Entzug der Milch.
     
  • Allmähliches Entwöhnen
    Eine weitere Methode ist das allmähliche Entwöhnen, bei dem das Kalb zwar noch saugen kann, die tägliche Kontaktzeit zwischen Kuh und Kalb aber kontinuierlich reduziert wird. Dies hat den Vorteil, dass es sowohl die Kuh als auch das Kalb, gleichermaßen einbezieht und eher der allmählichen Reduzierung des Säugens unter natürlichen Bedingungen ähnelt.
Muttergebundene Kälberaufzucht

Projekt der Universität Gießen

VIER PFOTEN unterstützt ein Projekt der Universität Gießen in Zusammenarbeit mit dem Thünen-Institut für Ökologischen Landbau in Deutschland. Das Projektziel ist, eine Absetz- und Trennungsmethode zu finden, die geeignet ist, um den Tieren möglichst wenig Stress bei der Trennung zuzumuten. Ein völlig stressfreies Absetzen wird jedoch wahrscheinlich nie erreicht werden können.

In der Studie wurden die beiden Entwöhnungsmethoden im Hinblick auf die Stressreaktion der Kälber und ihrer Mütter verglichen. Die schrittweise Entwöhnung erfolgte über drei Wochen, wobei die Kontaktzeit zwischen Kuh und Kalb von ganztägigem Kontakt über halbtägigen Kontakt bis hin zu morgendlichem Kontakt reduziert wurde, bis Kuh und Kalb nur noch durch einen Zaun Kontakt hatten. In der anderen Studiengruppe hatten die Kälber zwei Wochen lang ganztägigen Zugang zu ihren Müttern, trugen allerdings eine Nasenklappe und konnten somit nicht mehr am Euter trinken. Auf diese Phase folgte eine Woche, in der Kuh und Kalb Kontakt durch den Zaun haben konnten, so dass die Entwöhnungszeit ebenfalls drei Wochen betrug.

Ergebnisse der Studie

Ein Punkt für beide Methoden

Erste vorläufige Ergebnisse dieses Projekts wurden auf internationalen Konferenzen vorgestellt und zeigen, dass die Gewichtszunahmen der allmählich entwöhnten Kälber über den Zeitraum von drei Wochen höher waren als die der Nasenklappen-Kälber. 

Dies entsprach den Erwartungen der Forscher, da der Milchverlust bei der Nasenklappengruppe abrupt eintrat, während die allmählich entwöhnten Kälber noch einen Teil des Tages saugen konnten. Allerdings waren auch die täglichen Gewichtszunahmen der allmählich entwöhnten Kälber deutlich geringer als in der Ausgangsperiode vor dem Absetzen. 

Dennoch konnte bei der überwiegenden Mehrheit der Kälber in beiden Untersuchungsgruppen kein Gewichtsverlust festgestellt werden, wie er nach dem abrupten Absetzen in der industriellen Haltung bei Kälbern üblicherweise auftritt. Dies ist ein starkes Argument für die untersuchten Absetzmethoden.

Die Methode der schrittweisen Entwöhnung

Trotz der vergleichsweise guten Gewichtszunahme der allmählich entwöhnten Kälber, konnte diese Methode die Kontaktrufe der Kälber und ihrer Mütter nicht verhindern. Die Häufigkeit der Rufe war in der allmählich entwöhnten Gruppe sogar höher als in der Nasenklappe-Gruppe. Dies zeigt, dass die angewandte Art des allmählichen Absetzens die Bindung zwischen Kuh und Kalb nicht ausreichend lockern konnte, um ein stressarmes Absetzen zu ermöglichen. 

Die Forscher vermuten, dass dies vor allem darauf zurückzuführen ist, dass die Kälber ihre Milchaufnahme mit der verringerten Kontaktzeit nicht allmählich reduzierten, sondern stattdessen versuchten, die verringerte Zeit zu kompensieren, indem sie die Milchmenge pro Säuglingsbesuch erhöhten oder die Anzahl der Säuglingsbesuche beim Muttertier in den verbleibenden Stunden erhöhten. Die Methode des schrittweisen Absetzens muss in dieser Hinsicht verbessert werden.

Die Nasenklappe

Die Gruppe, die mit der Nasenklappe entwöhnt wurde, zeigte im Vergleich zu den jeweiligen Ausgangswerten vor der Entwöhnung eine stärkere Abnahme des Spielverhaltens sowie der Anzahl der Liegevorgänge pro Tag als die allmählich entwöhnten Kälber. 

Andererseits zeigte sich, dass die Motivation der Kälber, ihre Mutter zu besuchen, wenn sie die Nasenklappe trugen, in der ersten Woche deutlich abnahm, während in der zweiten Woche kein weiterer Rückgang festgestellt wurde. Nach derzeitigem Kenntnisstand kann daher empfohlen werden, die Nasenklappen generell nur für eine kurze Zeitspanne von maximal einer Woche einzusetzen. Die Forscher wollen in einer Folgestudie eine Kombination aus kurzzeitigem Einsatz der Nasenklappe mit anschließendem Zaunkontakt untersuchen.

Wie die Erkenntnisse zukünftig genutzt werden?

Dieses Projekt lieferte wertvolle Erkenntnisse über die Stressreaktionen von Kühen und Kälbern während des Absetz- und Trennungsprozesses. Auch wenn keine der beiden untersuchten Absetzmethoden vollständig erfolgreich war, konnten neue Ansatzpunkte für zukünftige wissenschaftliche Untersuchungen und die Entwicklung von Absetzmethoden gewonnen werden. Mit den gewonnenen Erkenntnissen sollen in einer zukünftigen Studie verschiedene Betriebe, die bereits ein Kuh-Kalb-Kontaktsystem praktizieren, besucht und die dort angewandten Absetzmethoden hinsichtlich der Stressreaktionen der Tiere systematisch analysiert und verglichen werden.

Mutterkuh und Kalb

Erst wenige Betriebe in Österreich

In Österreich gibt es noch sehr wenige Betriebe, die die Kälber bei den Müttern belassen. Das Interesse, vor allem in der biologischen Landwirtschaft, steigt aber stetig und immer mehr Betriebe probieren diese Produktionsform aus. 

Von rund 24.000 Milchbetrieben² gibt es weniger als 20 bereits bekannte Betriebe, die ihre Kälber bei den Müttern aufwachsen lassen. Man sieht zwar viele Kühe mit ihren Kälbern - was aber viele nicht wissen ist, dass es sich dabei nicht um Milchkühe, sondern um Rinder in der Fleischmast handelt. Dort hat sich die sogenannte Mutterkuhhaltung bereits vor einigen Jahren etabliert. VIER PFOTEN hofft nun, dass möglichst bald viele Milchbetriebe auf diese tierfreundlichere Milchproduktion umsteigen.

Im Merkblatt des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) werden diese Erfahrungen für andere TierhalterInnen nutzbar gemacht. Die Broschüre vermittelt zahlreiche Ideen für die Organisation der muttergebundenen Kälberaufzucht und die passende Einrichtung des Stalls.

Hinweis: Bei Ansicht dieses Videos eventuell auftauchende Werbeeinblendungen stehen in keinem Zusammenhang mit VIER PFOTEN. Wir übernehmen für diese Inhalte keinerlei Haftung.

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Quellenverweis

1.https://www.statistik.at/web_de/statistiken/wirtschaft/land_und_forstwirtschaft/viehbestand_tierische_erzeugung/viehbestand/index.html
2. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/607136/umfrage/anzahl-der-milchproduktionsbetriebe-in-oesterreich/

Vogt, A., Waiblinger, S., König von Borstel, U. and Barth, K. (2020) Vergleich des Absetzens via Anti-Saug-Bügel und gradueller Reduktion der Kontaktzeit hinsichtlich der Stressbelastung für Kuh und Kalb in der muttergebundenen Milchkälberaufzucht. In: Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (Hg.): Aktuelle Arbeiten zur artgemäßen Tierhaltung 2020. KTBL-Schrift 520, p. 68-78.2. Vogt, A., Waiblinger, S., Barth, K.and König von Borstel, U. (2021) Don’t forget the dams. Stress reactions of dairy cows to two different weaning and separation methods in cow-calf-contact systems. In: Proceedings of the 54th Congress of the International Society for Applied Ethology, 2-6 August 2021, p. 126.3. Vogt, A., Waiblinger, S., König von Borstel, U. and Barth, K. (2021) Vocalisations don’t lie? Comparison of stress responses to two different weaning methods in dam-reared dairy calves. In: Proceedings of the 8th International Conference on the Assessment of Animal Welfare at Farm and Group level, 16.-19. August 2021, Wageningen: Wageningen Academic Publishers, p. 85.

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